Die politische Ordnung nach 1800 hat Kultur weitgehend zur Angelegenheit der Städte und Gemeinden werden lassen, während die großherzoglichen bzw. königlichen neuen Herren selektive Interessen am See verfolgten, von denen vor allem Friedrichshafen profitiert hat. Zumindest im Entwurf war die hier 1811 geplante Neustadt ein reizvoller Ansatz zur Ausgestaltung einer biedermeierlichen Residenzstadt. Für Überlingen war nicht Residenz-, sondern Fremdenverkehrsstadt die Perspektive der neuen Zeit. Diese begann 1825 mit dem Dampfschiff und der Errichtung des Bad-Hotels und setzte sich fort mit der Anlage von Promenade, Stadtgarten und Hafen. Schulviertel (1865) und historistische Villen demonstrieren ein großbürgerliches Selbstverständnis der Stadt.

Villen siedelten sich überall am Ufer an, in Friedrichshafen, Kressbronn a. B. und Langenargen. Deren historisierenden Stilen schloß sich oft auch die gleichzeitige Industrie-Architektur an, die älteste Kabelhängebrücke Deutschlands über die Argen, die Tor- und Bahnhofsbauten in Überlingen (um 1901). Viele Kirchen wurden in Neo-Stilen neu errichtet: in Lellwangen, Lippertsreute und Oberdorf. Die Ergebnisse sind entgegen verbreiteter Vorbehalte oft sehr sehenswert.

Industriekultur konzentriert sich seit 1900 auf die Zeppelinstadt Friedrichshafen: die beweglichen Luftschiffhallen, das Zeppelindorf von Bonatz, der neusachliche Hafenbahnhof sind qualitätvolle Beispiele, deren Rang Kirchen wie St.Petrus Canisius und Villen entsprechen. Nachkriegsarchitektur hat sich lange in uferlosen Siedlungsbauten erschöpft, der Überlinger Kursaal (1954), die Kirche in Meckenbeuren-Kehlen (1968), St.Columban und Der gute Hirte in Friedrichshafen setzten positive Akzente. Erst in jüngster Zeit wird regionale Architektur wieder überregional diskutiert, etwa das Naturata-Haus in Überlingen, das Minimalhaus Hubert Gaupps in Meckenbeuren. Doch das ist so wenig regionalgebunden wie die Kunstszene insgesamt, in die sich seit den 30er Jahren verstärkt Fremde mischen: politische Exilanten wie Purrmann und Bissier und Großstadtflüchtige, während die Hiesigen ebenso oft die Region verlassen.