"Sipplinger Klosterbirne", "Weinbirne vom Bodensee", "Salemer Klosterapfel", "Schussentäler", "Teuringer Rambour" - wer kennt sie noch, diese Namen oder gar Obstbäume? In Baden-Württemberg haben fünf Jahrzehnte ausgereicht, um die Zahl der Apfel- und Birnbäume im Streuobstbau auf rund die Hälfte bzw. ein Drittel des in den 50er Jahren vorhandenen Bestandes schrumpfen zu lassen.

Mit dieser Entwicklung wurde zugleich der überaus großen Sortenvielfalt von einst weitgehend ein Ende bereitet. Wurden in Süddeutschland noch im vergangenen Jahrhundert weit über 1.500 Birnensorten und ebenso viele Apfelsorten gezählt, so fiel in den vergangenen Jahrzehnten bei zahlreichen Obstsorten bereits der letzte Baum. Viele andere alte Sorten sind nur noch selten anzutreffen oder verschollen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Über 40 Jahre hinweg erfolgten nahezu keine Neupflanzungen, so dass hinsichtlich des Altersaufbaus der Bestände fast eine ganze Baumgeneration fehlt. Es ist abzusehen, dass auch der größte Teil des noch vorhandenen Baumbestandes in den nächsten Jahrzehnten infolge Überalterung und mangelnder fachgerechter Pflege abgehen wird.

Sortenerhaltungsprogramm Bodenseekreis

Das Landratsamt Bodenseekreis - untere Naturschutzbehörde - möchte mit seinem Sortenerhaltungsprogramm ein möglichst breites Sortenspektrum in heimischen Streuobstbeständen dauerhaft erhalten. Dies soll mit zweierlei Maßnahmen erreicht werden. 

Abgabe von seltenen Sorten

Im Rahmen unseres Streuobstprogramms werden künftig pro Jahr zusätzlich ca. 100 Bäume von seltenen Sorten zu erheblich vergünstigten Preisen an Interessenten abgegeben. Ziel ist es, seltene Obstsorten mit wirtschaftlich verwertbaren Früchten wieder flächig im Bodenseekreis zu verbreiten. Aus den hierfür pro Jahr vorgesehenen vier bis fünf Sorten sollen jeweils zwei Sorten als "Sorten des Jahres" beworben und mit ihren Eigenschaften dargestellt werden. 

Sortengärten/Lehrpfade

Im Gegensatz zum Streuobstprogramm des Bodenseekreises, das bei seiner Sortenwahl auf die Verwertbarkeit der Früchte achtet, stehen bei den Sortengärten insbesondere folgende Aspekte im Vordergrund:

  • Erhaltung des genetischen Erbes
    In unserer schnelllebigen Zeit werden an die Obsterzeugung immer wieder neue Anforderungen gestellt. Die Wünsche der Verbraucher wie auch die Produktions- und Vermarktungsbedingungen sind unvorhersehbaren Schwankungen unterworfen. Schädlinge und Krankheiten unterliegen der Veränderung, bilden neue, oft aggressivere Stämme und stellen für ein genetisch einförmiges Sortiment eine stete Bedrohung dar. Auch Klimaveränderungen können die Obsterzeugung stark beeinflussen. Auf diese Einflüsse kann die Pflanzenzüchtung nur dort flexibel reagieren, wo sie sich auf umfangreiches Erbmaterial abstützen kann. Die heute noch vorhandenen Obstgehölze sind ein wichtiges Reservoir unterschiedlichster Erbanlagen mit unschätzbarem Wert.
  • Bewahrung eines bäuerlichen Kulturguts
    Die in Generationen langer Züchtungs- und Kulturarbeit entstandene Sortenvielfalt ist ein lebendiges bäuerliches Kulturgut, das es verdient, auch unabhängig von landwirtschaftlichen oder züchterischen Interessen weiterhin gepflegt zu werden. Häufig sind Bauernfamilien, Gewann- und Gemarkungsbezeichnungen, aber auch Ortsnamen, in den Sortennamen wiederzufinden. In gleicher Weise, wie alte Bräuche, Trachten oder historische Bauten bewahrt werden sollten, ist auch die Erhaltung dieser Sortenvielfalt in ihrer traditionellen Anbauform eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft. Mit jeder ausgestorbenen Sorte geht zugleich ein Stück unserer bäuerlichen Kulturgeschichte verloren. Der Erhaltung alter Sorten sollte daher als Zeugnis der früheren bäuerlichen Kultur in der Orts- und Kreisgeschichte der gleiche Rang eingeräumt werden, wie der Ausstellung alter landwirtschaftlicher Geräte im Heimatmuseum oder der Erhaltung historischer bäuerlicher Anwesen.

Umsetzung

Im Rahmen des Domänenkonzeptes des Landes Baden-Württemberg wurde bereits Anfang der 90er Jahre ein Sortenerhaltungsgarten für heimische Birnensorten auf dem "Unteren Frickhof" bei Owingen-Billafingen angelegt.

Ein Apfelsortenerhaltungsgarten ist seit über 20 Jahren beim "Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee" bei Bavendorf (Landkreis Ravensburg) im Aufbau. Von diesen Erhaltungsgärten sollen insbesondere vom Aussterben bedrohte oder bereits verschollene Sorten über eine Raritätenbaumschule im Landkreis an Initiatoren bzw. Träger von Sortengärten abgegeben werden.

Für die Anlage und Pflege von Sortengärten sind Fördermittel von 70 % bzw. 90 % denkbar. Alternativ können die Maßnahmen auch im Rahmen von Ausgleichskonzepten oder über das Ökokonto realisiert werden. Aufgrund ihrer besonderen Qualität besitzen sie eine herausragende Stellung in der Biotopwertigkeit.

Anforderungen an einen Sortengarten/Lehrpfad

Sortengärten bzw. Lehrpfade sollten einen Baumbestand von mindestens 80 bis 100 Bäumen umfassen. Bei jeweils zwei Bäumen pro Sorte entspricht dies 40 bis 50 verschiedenen Sorten und einer Fläche von mindestens ein Hektar. Die Sortenauswahl wird durch die untere Naturschutzbehörde getroffen. Dabei wird die Vielfalt und Seltenheit der einzelnen Sorten berücksichtigt (Biodiversität). Die untere Naturschutzbehörde begleitet darüber hinaus die Pflanzung und die Pflege der Bäume sowie die Bewirtschaftung des Unterwuchses.

Partner

Das Sortenerhaltungsprogramm kann nicht alleine durch den Bodenseekreis geschultert werden. Wir sind daher auf Partner angewiesen. Hierfür kommen insbesondere die Städte und Gemeinden sowie die Naturschutzverbände des Bodenseekreises in Betracht. Wir möchten mit diesem Informationsblatt Partner gewinnen, die sich mit uns dieser Aufgabe stellen und gemeinsam mit uns ein wertvolles Kulturerbe für kommende Generationen erhalten wollen.