20 Jahre friedliche Revolution

Vertreter aus dem Bodenseekreis zu Besuch im Landkreis Leipzig
Leipzig/Borna/Böhlen.
Gleich vier Partnerkreise hat Landrat Dr. Gerhard Gey  in den Landkreis Leipzig, der in zwei Kreisreformen aus den ehemaligen sächsischen Landkreisen Grimma, Wurzen und Borna neu gebildet wurde sowie aus Anlass des 20. Jahrestags des Mauerfalls  nach Sachsen eingeladen.  65 Gäste aus den Partnerkreisen, darunter elf Gäste aus dem Bodenseekreis, den Landkreisen München, Esslingen und Kutno (Polen) reisten für drei Tage in den Landkreis Leipzig und feierten mit den Sachsen den „Tag der Deutschen Einheit“.

 
Auf dem Programm des Besuchs, der an „20 Jahre Friedliche Revolution“ erinnern sollte, standen unter anderem die mit großen Aufwand gerettete „Emmauskirche“ in Borna, die aus den ehemaligen Braunkohlegruben neu entstandenen Seen, der Wurzener Dom und die vom Verfall noch rechtzeitig gerettete Grimmaer Klosterkirche. „Die Kreispartnerschaften waren ursprünglich kurz nach der Wende entstanden, um die Verwaltung in den neuen Bundesländern aufbauen zu helfen“, erinnerte Dr. Gerhard Gey, ehemals Landrat in Grimma und heute Landrat des großen Landkreises Leipzig mit über 273.000 Einwohnern. Mittlerweile diskutieren alle Landkreise in Ost und West die gleichen Probleme, wie etwa aktuell die Unterfinanzierung aufgrund von Steuerausfällen. „Mit diesen Treffen wollen wir aber auch Verständnis füreinander wecken und persönliche Kontakte pflegen“, so Landrat Dr. Gey.
Am Freitagabend nahmen die Gäste aus den Partnerlandkreisen im Kulturhaus Böhlen am Festkonzert des Westsächsischen Symphonieorchester zum Tag der Deutschen Einheit teil, dessen Großer Saal mit 800 Plätzen voll belegt war. In einer sehr persönlichen Ansprache erinnerte sich Landrat Dr. Gey daran, was er Anfang Oktober 1989 empfand, als er sich mit seiner Frau und Bekannten auf dem Leipziger Ring in den Zug der Demonstranten einreihte. Als die Sprechchöre „Wir sind das Volk“ immer lauter wurden, hätten ihn tief berührt, denn „das Gefühl der Verbundenheit machte stark.“ Schon wenige Tage danach sei ihm bewusst geworden, dass dies der Anfang vom Ende der deutschen Teilung war.

 
„Gemeinsamkeit und Solidarität bewirkten das Wunder dieser friedlichen Revolution“, sagte Johanna Rumschöttel, Landrätin des Kreises München, und beschwor den weiteren gemeinsamen und solidarischen Aufbruch. Joachim Kruschwitz, Erster Landesbeamter des Bodenseekreises, erinnerte daran, dass wir im Westen zunächst nur „Zaungäste“ eines Prozesses waren, den allein die Bürgerinnen und Bürger in der DDR einleiteten. Er dankte für deren Mut und die Entschlossenheit, „mit der Sie vor 20 Jahren auf die Straße gingen, Demokratie und Freiheit einzufordern“. Die gewaltige Aufbauarbeit der letzten Jahre hätten nicht diejenigen geleistet, welche damals der DDR den Rücken kehrten, sondern in ihrer Heimat anpackten und Verantwortung vor Ort übernahmen. Die friedliche Revolution sei untrennbar mit dem Namen Leipzigs verbunden, sagte Kreisrat Gerhard Schneider, erster stellvertretender Vorsitzender des Esslinger Kreistags: „Gebete und Kerzen waren stärker als die Macht der DDR“. „Was in Polen 1989 mit der Solidarnosc anfing, haben die Deutschen fortgeführt und bis zum Fall der Mauer gebracht“, so Jerzy Pawlak, Kreisvorstand aus Kutno (Polen). Ein vereintes Europa sei ohne ein starkes und einiges Deutschland nicht denkbar.

 
Am Samstag, dem Tag der Deutschen Einheit, erinnerte der ehemalige Superintendent Horst Schulze im Dom der ehemaligen Bischofsstadt Wurzen an die Rolle der Kirchen vor der Wende. Eindrucksvoll schilderte er den alltäglichen Kampf mit der Stasi, deren Spitzel ständige Gäste der Friedensgebete waren, die vor 1989 den Montagsdemonstrationen in Leipzig, Grimma oder Wurzen vorausgingen. Ein kleines Orgelkonzert und das gemeinsame Lied „Nun danket alle Gott“ waren mehr als bloße Referenz aller Besucher an den Beitrag der Kirchen für das Gelingen der friedlichen Revolution.
 

Nach dem Mittagessen im neu restaurierten Schloss Wurzen aus dem 16. Jahrhundert ging es am Samstag mit dem Bus quer durch das „Neuseenland“ und den Braunkohletagebau im Leipziger Süden. Nach der Fahrt vorbei an gewaltigen Braunkohlegruben, Riesenbaggern und den in Flutung befindlichen Seen zeigten sich nicht nur Alt-Landrat Siegfried Tann und Joachim Kruschwitz tief beeindruckt. Beide erinnerten sich noch gut an ihren ersten Besuch vor 20 Jahren und an Abraumhalden und Brachflächen, soweit das Auge reichte. „Es ist kaum vorstellbar, wie aus den ehemaligen Gruben in so kurzer Zeit tolle Badeseen und Landschaftsparks wurden“, stellten sie übereinstimmend fest. Eine Ausstellung des Fotografen Gerhard Weber in der Klosterkirche Grimma blickte zurück in den Alltag der Menschen in der ehemaligen DDR und auf  das Hochwasser der Mulde im August 2002, das damals die gesamte Altstadt verwüstete. Heute erinnern nur noch die Hochwassermarken an den wieder sanierten Häusern in vier Meter Höhe über dem Straßenniveau an dieses verheerende Ereignis.  

 
Mit welchen Methoden die „Organe der Staatssicherheit“ in der ehemaligen DDR arbeiten, wurde den Besuchern aus dem Westen am Sonntag in der ehemaligen Bezirkszentrale der Staatsicherheit in Leipzig bewusst. In deren Räumen an der „Runden Ecke“, unweit des zu einem Einkaufszentrum umgestalteten Leipziger Hauptbahnhofs, erinnern Originaldokumente und -requisiten an die Arbeitsweise und die Methoden, mit der die DDR-Bürger systematisch überwacht wurden. Besonders abschreckend empfanden die Besucher aus dem Westen, dass bereits 14-jährige als Stasi-Spitzel angeworben wurden. Eine Abteilung „Zersetzung“ kümmerte sich eigens darum, persönliche Freundschaften über die Grenze hinweg mit abgefangenen oder fingierten Briefen zu unterbinden. „Wir alle hatten großes Glück“, erläuterte eine Zeitzeugin des „Runden Tischs“ vor Ort. „Als wir im Oktober 1989 diese Zentrale übernahmen, stellten wir fest, dass hier mehr Waffen lagerten, als der Bezirk Leipzig Einwohner hatte".