Bodensee-Schutz: Bodenseekreis-Gemeinden investieren 100 Millionen Euro in sauberes Abwasser

Der Landkreis und die Gemeinden am nördlichen Bodenseeufer haben Bemerkenswertes erreicht, um Europas größten Trinkwasserspeicher vor Spurenelementen und Schadstoffen zu schützen. Denn vor genau zehn Jahren starteten der Bodenseekreis und seine Kommunen gemeinsam mit dem Land ein großes Investitions- und Umbauprogramm für die Abwasserbehandlung. Insgesamt rund 100 Mio. Euro werden mit dem Ziel investiert, Medikamentenrückstände und andere organische Spurenelemente aus dem Abwasser zu filtern.

Systematisch wird seither daran gearbeitet, die Kläranlagen-Landschaft im Kreis neu zu ordnen und nahezu alle Anlagen mit einer vierten Reinigungsstufe auszustatten. Der kommunale Kraftakt hat bereits messbare Wirkung: Die Spurenstoff-Reinigungsleistung der Kläranlagen wurde dadurch seit 2015 von sieben auf 80 Prozent gesteigert. Jährlich werden durch die neue Technik zentnerweise problematische Stoffe daran gehindert, in den Bodensee zu fließen. Die Wasserwirtschaft im Bodenseekreis erfüllt damit schon jetzt die strengen ab 2045 geltenden EU-Vorgaben.

„Mittlerweise haben alle fünf Kläranlagen, die ihr gereinigtes Abwasser direkt in den Bodensee einleiten, eine vierte Reinigungsstufe. Damit können Medikamentenrückstände und andere Schadstoffmoleküle am Ende des Klärprozesses aus dem Abwasser gefiltert werden. Für eine weitere große Kläranlage im Hinterland ist die Aufrüstung bereits in Planung“, erklärt Klaus Ruff, Leiter des Amts für Wasser- und Bodenschutz im Landratsamt Bodenseekreis. Bei Ruff und seinem Team laufen die Fäden des großen Investitionsprojektes zusammen. Planungen müssen abgestimmt, Gemeinden beraten, Experten immer wieder an einen Tisch gebracht und Förderanträge geschrieben werden. „Zu diesem Kraftakt gehört auch, dass wir bis etwa 2030 die Anzahl der Kläranlagen im Landkreis von 14 auf acht reduzieren wollen. Denn der Wirkungsgrad größerer Einheiten ist deutlich besser und nur hier sind die umfangreichen technischen Investitionen für den Gewässerschutz wirtschaftlich darstellbar.“

„21 unserer 23 Kreisgemeinden sind an dem Umweltprojekt beteiligt und übernehmen Verantwortung für das Ökosystem und die Trinkwassersicherung für Millionen Menschen im Versorgungsgebiet des Bodensees“, betont Landrat Luca Wilhelm Prayon.

Unerforschter Chemie-Cocktail

Spurenstoffe sind menschengemachte chemische Verbindungen in sehr geringen Konzentrationen. Durch die konventionellen Reinigungs- und Filterprozesse der Kläranlagen mit drei Reinigungsstufen werden sie größtenteils nicht erfasst und gelangen deshalb in den Wasserkreislauf. Sie stammen von Medikamenten, landwirtschaftlichen Pestiziden und Insektiziden und alltäglichen Produkten wie Pflege- und Reinigungsmittel. Mehr als 10.000 solcher Stoffe sind im Einsatz und gelangen letztendlich in die Oberflächengewässer. „Die chemischen Verbindungen wirken dort weiter bei Pflanzen, Tieren und schließlich den Menschen. Noch weitgehend unerforscht sind die Wechselwirkungen dieses Cocktails. Wenn wir unsere Bäche, Flüsse und schließlich den Bodensee vor dieser Belastung schützen können, ist das ein riesiger Erfolg“, berichtet Wasserexperte Ruff. Das Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg hat exemplarisch ausgerechnet, dass durch die Säuberungsbemühungen im Landkreis nun innerhalb eines Jahres die Menge des Wirkstoffs Diclofenac aus insgesamt 22.000 Tuben Schmerzgel aus dem Abwasser gefiltert werden.

Die in der Fachsprache als vierte Reinigungsstufe bezeichnete Technik ist ein Mix aus mehreren physikalischen und chemischen Vorgängen: Zum Einsatz kommt Aktivkohle, an deren mikroskopischer Oberfläche die Schadstoffmoleküle hängen bleiben und oder Ozon, das organische Verbindungen auflöst, sowie Sandfilter in nachgeschalteten Reinigungsbecken. „Im Bodenseekreis wurde hier echte Pionierarbeit bei der Weiterentwicklung dieser Techniken geleistet. Diese Innovationen sind wegweisend für viele andere Kläranlagen im Land und darüber hinaus“, erklärt Vera Kohlgrüber, Leiterin des Kompetenzzentrums Spurenstoffe Baden-Württemberg, das eng mit dem Landratsamt zusammenarbeitet. „Das Ergebnis ist ein Ablauf aus den Kläranlagen in Badewasserqualität“, so Kohlgrüber. Die Wirkung im Ökosystem ist messbar: Systematische Untersuchungen der Gesundheit von Fischen in Flüssen mit einem hohen Abwasseranteil aus Kläranlagen haben einen deutlichen Rückgang an Krankheiten und Missbildungen gezeigt, nachdem eine vierte Reinigungsstufe eingebaut wurde, berichtet das Institut für Seenforschung Langenargen.         

Bodenseekreis als Vorbild

Das Gemeinschaftsprojekt „Gewässerschutz am Bodensee“ wurde 2015 unter Federführung des Landratsamts Bodenseekreis initiiert. Partner sind neben den beteiligten Städten und Gemeinden, das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und das Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg. Im Rahmen einer Expertenkonferenz am 17. Oktober 2025 im Landratsamt wurde nach zehn Jahren eine erste Bilanz gezogen. „Der Bodenseekreis übernimmt in Sachen Gewässerschutz nicht nur innerhalb Baden-Württembergs eine Vorreiterrolle. Auch im Rahmen der Internationalen Gewässerschutzkommission gilt der Bodenseekreis besonders bei der Spurenstoffelimination als Vorbildregion für andere Anrainerstaaten“, sagte Jochen Weinbrecht, Referatsleiter Gewässerreinhaltung, stehende Gewässer u. Bodensee des Umweltministeriums bei der Konferenz.

Die kommunale Wasserwirtschaft im Bodenseekreis wird nach Abschluss des Konzepts bis etwa 2030 innerhalb von 15 Jahren auf freiwilliger Basis insgesamt rund 100 Mio. Euro in den Gewässerschutz investiert haben: Etwa 25-30 Mio. in vierte Reinigungsstufen, 45-50 Mio. in die Zusammenlegung von Klärkapazitäten und 10-15 Mio. in Retentionsbodenfilter für die Regenwasserbehandlung. Gefördert werden die Vorhaben vom Land, im Mittel mit rund 20 Prozent. Die Abwassergebühren für die angeschlossenen Haushalte blieben indes moderat und sind durch die aktuellen Investitionen in den Gewässerschutz nur um rund zehn bis 20 Cent pro Kubikmeter Wasser gestiegen.  

Infos zum Thema vierte Reinigungsstufe beim Kompetenzzentrum Spurenstoffe unter www.koms-bw.de
 

 

Bild: Experten und Kommunalpolitiker verweisen stolz auf die Erfolge im Gewässerschutz (v.l.): 
Klaus Ruf, Leiter Amt für Wasser- und Bodenschutz Bodenseekreis; 
Jochen Weinbrecht, Referatsleiter Gewässerreinhaltung, stehende Gewässer, Bodensee beim Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft; 
Hans-Martin Gall, Technischer Geschäftsführer Zweckverband Bodenseewasserversorgung;
Dr. Harald Hetzenauer, Leiter Institut für Seenforschung Langenargen;
Vera Kohlgrüber, Leiterin Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden- Württemberg;
Luca Wilhelm Prayon, Landrat des Bodenseekreises