Projekt Gedenkbuch für die Opfer der NS-„Euthanasie“ im Bodenseekreis

Während der nationalsozialistischen Herrschaft sind allein im damaligen Deutschen Reich circa 300.000 behinderte und psychisch kranke Menschen systematisch deportiert und umgebracht worden. Nach derzeitigem Forschungsstand hat alleine die oft auch als „Euthanasie“ bezeichnete „Aktion T4“ schätzungsweise 70.000 Menschen das Leben gekostet. Die „grauen Busse“, mit denen die Menschen in der Regel aus den Anstalten abgeholt worden sind, gelten heute als Symbol für diese planmäßig durchgeführten Verbrechen.

Auch Menschen aus dem heutigen Bodenseekreis wurden damals getötet, weil sie eine körperliche oder geistige Behinderung hatten oder psychisch krank waren. Aktuell sind die Namen von 90 Personen bekannt, die ursprünglich in den Städten und Orten des heutigen Kreisgebiets lebten und von hier aus in den Anstalten Liebenau, Reichenau, Weissenau oder Pfingstweide untergebracht waren, von dort deportiert und schließlich meist in Grafeneck umgebracht wurden. Viele von ihnen wurden in die Tötungsanstalt Grafeneck gebracht. Von einigen haben Forschende und Angehörige die Geschichten zusammengetragen und aufgeschrieben. Von den meisten dieser Menschen weiß man bisher aber nicht viel. Noch gar nicht erforscht sind in unserer Region mögliche Opfer der „Kinder-Euthanasie“ an Neugeborenen oder Kleinkindern sowie der „Dezentralen Euthanasie“, also Morden direkt in einzelnen Anstalten.

Das Erinnerungs- und Forschungsprojekt NS-„Euthanasie“ im Bodenseekreis will mehr Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte der Bodenseeregion bringen und das Andenken an die Opfer bewahren. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Bodenseekreises sind aufgerufen, sich diesem Thema aktiv zuzuwenden:

  • Ist Ihnen jemand von der Opfer-Liste bekannt?
  • Haben Sie Informationen über das Leben und Schicksal dieser Menschen?
  • Waren Personen aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis Ihrer Familie von der „Aktion T4“ betroffen?
  • Suchen Sie selbst nach solchen Informationen über das Schicksal von Personen aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis Ihrer Familie?

Das Kulturamt des Bodenseekreises und der in der Bodenseeregion bekannte Psychiater Prof. Dr. Paul-Otto Schmidt-Michel haben es sich zum Ziel gemacht, möglichst viel über das Schicksal dieser Menschen in Erfahrung zu bringen und zu dokumentieren. Daraus sollen eine Opfer-Datei und ein Gedenkbuch entstehen, um den bisher meist anonymen Opfern einen Namen zu geben, wenn möglich ihre Geschichten zu erzählen und die Erinnerung an sie in ihren Heimatgemeinden zu verorten. Was auch hier in der Bodenseeregion geschehen ist, soll kein Tabu sein. Das sind wir den Opfern und kommenden Generationen schuldig.