Unterschiedliche Strategien bei der Wahl der Laichgewässer

In der vom Menschen unbeeinflussten Naturlandschaft gibt es unterschiedliche Arten von Gewässern. Ein wichtiger Unterschied zwischen ihnen ist ihre Lebensdauer: Große Seen können unter Umständen Hunderte von Jahren bestehen, bevor sie verlanden, kleine Tümpel dagegen, wie sie in der natürlichen Flussaue durch Hochwässer oder außerhalb der Flussaue durch Erdrutsche oder im Wurzelbereich umgestürzter Bäume entstehen, können dagegen nach wenigen Jahren wieder verlandet sein. Sowohl die großen, langlebigen als auch die kleinen, kurzlebigen Gewässer haben Vor- und Nachteile für Amphibien:

Großflächige, langlebige Gewässer

bieten alljährlich verlässlich Fortpflanzungsmöglichkeiten für große Amphibienpopulationen; es ist kein großer Aufwand für die Geschlechterfindung erforderlich. Nachteil dieser Gewässer ist die hier herrschende Konkurrenz und der Fraßdruck durch Prädatoren, vor allem Fische. Ein weiterer Nachteil ist die Tatsache, dass im Gewässer zwar Tausende von (vegetarischen) Kaulquappen aufwachsen können, nach dem massenhaften Übergang zum Landleben die im Uferbereich des Gewässers verfügbare Nahrung aber schnell gefressen ist, so dass den Jungtieren nichts anderes übrig bleibt, als sich radial vom Gewässer zu entfernen, um so neue, entferntere Nahrungsquellen zu erschließen. Diese Ausbreitungswanderung hält solange an, bis für alle Tiere ein ausreichend großes Nahrungsrevier zur Verfügung steht - je größer die Population, desto weiter muss gewandert werden. Arten, die solche großflächigen, langlebigen Gewässer nutzen wollen, müssen also in der Lage sein, dem Fraßdruck durch Fische auszuweichen (zum Beispiel durch einen jahreszeitlich sehr frühen Laichtermin, zu einer Zeit, in der die Fische noch weitgehend inaktiv sind) und sie müssen weitere Wanderungen zwischen Laichgewässer und Sommerlebensraum in Kauf nehmen. Typische Bewohner dieser Gewässer sind Grasfrosch und Erdkröte (sehr früher Laichtermin, starke Gewässerbindung, weite Wanderungen).

Kleine, kurzlebige Gewässer

haben den Nachteil, dass auf sie kein Verlass ist, weil sie nach einigen Jahren verlandet sind und weil sie zudem in ungünstigen Jahren früh austrocknen oder ganz durchfrieren können; Arten, die diese Gewässer nutzen, müssen Laichgewässer und Laichpartner immer wieder erneut suchen, unter Umständen sogar jedes Jahr. Vorteil der kleinen Gewässer ist ihre Konkurrenzarmut; Fische fehlen meist ganz. Arten, die solche kleinen, kurzlebigen Gewässer nutzen wollen, müssen also flexibel sein: sie müssen in der Lage sein, einen Landschaftsausschnitt nach Gewässern abzusuchen, und müssen, um die "Unzuverlässigkeit" ihrer Laichgewässer zu kompensieren, den Laich räumlich (auf mehrere Kleingewässer) und/oder zeitlich (über die ganze Vegetationsperiode) verteilen. Diese Arten halten sich deshalb fast das ganze Jahr über in der Nähe der Laichgewässer auf (solange diese vorhanden sind) und bewegen sich kleinräumig zwischen diesen hin und her. Wenn das Laichgewässer ausfällt, wandern die Tiere, um ein neues zu suchen; diese Wanderungen sind aber mit den auffälligen Massenwanderungen von Grasfrosch und Erdkröte kaum zu vergleichen, da sie weder zeitlich noch räumlich konzentriert sind und dementsprechend sehr unauffällig. Weil sie nicht vorhersehbar sind, sind sie kaum je Gegenstand von Schutzmaßnahmen. Typische Vertreter dieser Strategie sind die Gelbbauchunke und die aus dem Kreisgebiet bisher nicht nachgewiesene Kreuzkröte. 

Die wandernden Arten wandern zwischen drei Orten: dem Laichgewässer, in dem sie meist nur kurze Zeit verbringen, dem Sommerlebensraum und dem Winterquartier, das im Sommerlebensraum, aber auch in der Nähe des Laichgewässers liegen kann. Von diesen Wanderungen ist die Frühjahrswanderung zum Laichgewässer wegen ihrer zeitlichen und räumlichen Konzentration die auffälligste und deshalb auch die, der die meisten Schutzmaßnahmen gelten; es darf aber nicht aus dem Auge verloren werden, dass die zeitlich stärker streuende Herbstwanderung (in Regennächten zwischen August und Oktober) ebenfalls Bestandteil der Wanderung zum Laichgewässer und dementsprechend ebenso schutzbedürftig ist wie die Frühjahrswanderung. Vor allem beim Grasfrosch kann in milden Jahren ein großer Teil der Tiere, vor allem der Männchen, die Wanderung zum Laichgewässer in den Herbst vorverlegen, in Ausnahmefällen fast die gesamte Population (KORDGES 1999).

Eine Schlüsselrolle für den Schutz von Amphibienpopulationen spielt zudem die Abwanderung der Jungtiere etwa im Juni, die auch tagsüber erfolgen kann (bei ausreichender Luftfeuchte); die winzigen, anfangs kaum zentimeterlangen Jungtiere sind den Widrigkeiten der Wanderung (Verkehr, Hindernisse, Schadstoffe, Prädatoren) noch weitaus stärker ausgesetzt als die Alttiere, die Verluste sind dementsprechend groß. Der Schutz der Jungtierabwanderung ist erst in den letzten Jahren häufiger Gegenstand von Schutzmaßnahmen geworden.

Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass es neben den großen straßenüberquerenden Wanderungen (von denen im Kreis die meisten betreut werden) eine unübersehbare Anzahl von kleinen, diffusen Wanderungen von vagabundierenden Einzeltieren, Jungtieren, kleinen Restpopulationen u. ä. gibt. In warmen Regennächten in der ersten Märzhälfte sind überfahrene Einzeltiere überall zu finden, oft weit entfernt von (bekannten) Laichgewässern und Wanderrouten; ebenso zu Beginn der Herbstwanderung Ende August/Anfang September. Bei der Kartierung straßenüberquerender Amphibien des Bund Kreisverband Bodenseekreis in den Jahren 1989 und 1990 wurden außerhalb der betreuten Wanderschwerpunkte 3.739 Tiere gefunden, davon ca 70 % Erdkröten, ca. 28 % Grasfrösche (BUND KREISVERBAND BODENSEEKREIS 1990), auch einige neuere Totfundzählungen im Vorfeld von Ausbaumaßnahmen (LÖDERBUSCH 1998, 2000, 2001) zeigen, dass bei gezielter Nachsuche wandernde Einzeltiere auf fast allen Straßen im Kreis zu finden sind (vgl. auch Abbildung 1, S. 16).

Für solche kleineren Wanderungen sind die herkömmlichen Methoden des Amphibienschutzes (Zaun, Leiteinrichtung, Tunnel) meist zu aufwendig; sinnvoll ist aber, ohnehin notwendige Bach- und Grabenunterquerungen als Kleintierdurchlässe zu gestalten (breiter Durchlass, Einbau von beiderseitigen Bermen o. ä.).

Dass unbetreute straßenüberquerende Populationen nicht gänzlich aussterben, entspricht Erfahrungen, die auch in der Literatur beschrieben werden: "Wird weniger Laich abgelegt (weil Tiere überfahren wurden), erreichen relativ mehr Larven die Metamorphose. Offenbar fallen Verluste unter den ausziehenden Jungtieren nicht entscheidend ins Gewicht" (GROSSENBACHER 1981).